Religion und Drogenabhängige

– 123 Tage nach der Ankunft –

Hallo meine Lieben.
Ja, ich weiß. Jetzt fange ich auch an immer unregelmäßiger meine Blogbeiträge zu schreiben.
Ich finde das selber schade, denn ich wollte mindestens einmal die Woche etwas schreiben.

Manchmal bin ich ganz schön mit der Schule beschäftigt und dem Alltag. Nachmittags mache ich etwas mit meiner Gastfamilie oder treffe mich mit Freunden.
Manchmal bin ich aber auch einfach nur zu faul, mich vor den Laptop zu setzen und einen Blogbeitrag zu schreiben 😀

Heute hatte ich einen sehr besonderen Tag in der Schule und wollte unbedingt davon berichten.
Ich weiß gar nicht, wie ich beschreiben soll, wie ich mich gefühlt habe. Ich glaube das Wort impresionante beschreibt meinen Tag ganz gut.

Ich bin heute nur zwei Stunden in der Schule gewesen.
Meine Lehrerin hatte keinen Unterricht und da es an der secundaría (Oberstufe) nur eine Englischlehrerin gibt, hatte ich auch keinen Unterricht.
Stattdessen hatten alle Jahrgangsstufen ein besonderes Projekt, an dem sie teilhaben durften und ich zum Glück auch.

In unserer Schule waren heute fünf Männer aus den Estados Unidos (USA), die alle Drogen- und/oder Alkoholprobleme hatten. Sie wurden begleitet von zwei Pärchen; das eine lebt seit 16 Jahren in Kolumbien und diente unter Anderem als Dolmetscher. Für mich war es ganz lustig einmal den US-amerikanischen Akzent im Spanischen zu hören, denn der war ehrlich gesagt bastante.

Alle Anwesenden haben ihre historia erzählt. Von ihren Erfahrungen, die sie im Leben machen mussten. Alle haben eine schlimme Zeit durchgemacht und für mich war es schockierend zu hören, wie sie immer weiter in den Teufelskreis der Drogen reingeraten sind.
Man hat gesehen, wie schwierig es für sie war, diese Zeit, bestehend aus Drogen und Kriminalität, Revue passieren zu lassen.

Einer von ihnen erzählte, dass sein Vater Alkoholiker war und ihn geschlagen hat als Kind. Mit 13 Jahren wollte er das nicht mehr und hat auf der Straße gelebt. Er hat angefangen zu trinken, Mariuhana zu rauchen und dann sich Heroin zu spritzen.

Ein Anderer hat 20 Jahre lang Drogen konsumiert und sich das Leben damit zerstört. Entweder lebte er im Krankenhaus oder im Gefängnis, bis er dann auf der Straße gelandet ist, als Obdachloser.

Ich will gar nicht alle Geschichten aufschreiben, denn einige waren auch sehr privat und ausführlich. Aber alle hatten starke Probleme mit der Sucht und haben ihr Haus, Wertsachen, Freunde und Familie verloren, einfach alles.

Die Gruppe hat dann noch ein kleines Theaterstück aufgeführt. Ich glaube, die Jugendlichen haben das teilweise gar nicht richtig verstehen können, denn sie haben an einigen Stellen gelacht. Ich fand es sehr emotional und berührend.
Ein Mann wurde von schlechten Mächten beeinflusst und ihm wurden Ketten angelegt. An diesen Ketten wurde ständig gezogen, so dass er nicht fliehen konnte.
Das sollte die Abhängigkeit darstellen.
Der Grund, warum alle diese Menschen ihr Leben ins Positive ändern konnten, war der Glaube in Gott.
In dem Theaterstück erschien Gott und befreite den Mann von seinen Ketten und den schlechten Einflüssen.

Die Organisation, in der die Männer sind, ist eine kirchliche, die Abhängigen hilft, den richtigen Weg zu finden.
Alle diese Menschen konnten von den Drogen und dem Alkohol loskommen, indem Gott sie befreit hat und sie ihren Glauben wiedergefunden haben.

Ich finde das sehr beeindruckend, wie man durch einen Glauben in Etwas, sein Leben komplett ändern kann. Ich war sehr beeindruckt von dem Wechsel, für den sich diese Menschen entschieden haben.

Mich hat das alles ganz schön mitgenommen und ich habe lange über die Lebensgeschichten dieser Männer nachgedacht. Ich glaube mich bewegt es so sehr, weil ich noch nie mit jemandem, der solche Probleme hatte, persönlich gesprochen habe, sondern nur Interviews aus dem Fernsehen kannte.

Danach habe ich auch mit meiner Lehrerin gesprochen und sie meinte, dass es ganz besonders wichtig ist, den Kindern zu zeigen, dass sie ihre eigenen Entscheidungen machen müssen. Wenn man schlechte Entscheidungen trifft, passiert einem etwas Schlimmes und man muss mit den Konsequenzen leben. Gute Entscheidungen führen zu éxito (Erfolg).
Ich weiß, dass das Bild von Kolumbien nach wie vor vorbelastet ist. Man denkt an Kolumbien, man denkt an Drogen.
Das wissen auch die Schüler. Viele macht es traurig, dass ihr Land so schlecht gesehen wird. Viele lehnen den Drogenkonsum deshalb ab.
Aber gerade in meiner Schule gibt es auch viele Schüler, die Probleme in den Familien haben und sich deshalb mit Drogen beschäftigen.
Für die Schüler war es ganz wichtig zu hören, dass man erfolgreich werden kann, wenn man die richtigen Entscheidungen im Leben trifft und man nie den Glauben verlieren soll.

Ich habe mich etwas Komisch in dem Raum gefühlt, weil ich vermutlich, die Einzige war, die nicht an Gott glaubt.
Ihr solltet wissen, dass die meisten Kolumbianer seeeehr religiös sind, überwiegend katholisch.

Viele verstehen das überhaupt nicht, wenn ich erkläre, dass ich keine Religion habe und an nichts glaube. Das ist in Kolumbien eher ungewöhnlich, wenn jemand Atheist ist.
Es gibt viele Feierlichkeiten, die zelebriert werden, weil es etwas Religiöses ist. Mein Gastvater zum Beispiel ist seeeehr religiös.
Im März ist hier die semana santa. In Deutschland ist zu dieser Zeit Ostern. Noch weiß ich nicht, ob es da viele Parallelen gibt.
40 Tage vor der semana santa, beginnt die Fastenzeit und es wird viel gebetet. An diesem Tag sind viele Kolumbianer mit einem schwarzen Kreuz auf der Stirn rumgelaufen. Auch in meiner Schule. Es führte zu Verwirrung, warum ich kein Kreuz trug. Vielen Schülern habe ich erklärt, dass ich an nichts glaube. Ich wurde dann mit Fragen bombardiert, zum Beispiel, wie ich glaube, dass die Welt entstanden ist oder ob es für mich ein Leben nach dem Tod gibt.

Vom Vorbereitungsseminar wusste ich schon, dass „Religion“ ein sehr schwieriges, sensibles Thema ist. Bisher konnte ich es immer vermeiden.
Letzten Donnerstag bin ich dann in der primária irgendwie in diese Unterhaltung reingerutscht mit einer seeehr gläubischen Lehrerin.
Irgendwann hat sie mich gefragt, welche Religion ich habe. Ich habe ihr vorsichtig erklärt, dass ich an nichts glaube und keine Religion habe, aber alle Religionen akzeptiere und es gut finde, wenn jemand an Etwas glaubt. Daraufhin hat sie mich nahezu bemitleidet, was für ein trauriges Leben ich habe, dass ich keinen Glauben habe, dass ich mal darüber nachdenken sollte und dass sie es schrecklich findet, wenn die Eltern den Kindern den Glauben verbieten. Ich meinte, dass meine Eltern mich an alles glauben lassen und mir das überlassen ist und das ich glücklich bin, aber sie war komplett anderer Meinung. Für sie war es einfach nicht vorstellbar, an nichts zu glauben und dachte, dass ich viele Probleme habe und traurig bin.

Das war für mich eine sehr schwierige Unterhaltung. Ich habe auch gemerkt, dass diese Lehrerin, mit der ich mich sonst super verstehe, einfach kein Verständnis gezeigt hat. Am Ende habe ich ihr bei allem zugestimmt, weil sie meine Meinung gar nicht richtig hören wollte und ich keine Grunddiskussion anfangen wollte.

Das Thema Religion ist überall auf der Welt ein sensibles Thema. Ich akzeptiere jegliche Religion und freue mich für Menschen, wenn sie Kraft aus ihrem Glauben gewinnen, wie zum Beispiel die US-Amerikaner, die ich heute kennengelernt habe. Ehrlich gesagt mag ich es aber nicht, wenn mich jemand von seiner Religion so überzeugen möchte, dass ich ebenfalls daran glauben soll. Ich habe meine Meinung zu dem Thema und höre mir gerne alle Meinungen an, möchte aber nicht missioniert werden.
In Kolumbien merke ich, dass viele Menschen in der Hinsicht noch nicht so offen sind. In Europa gibt es seeehr viele verschiedene Religionen, die dicht aufeinander leben. Es gibt auch viele Atheisten. In Deutschland hat bisher noch niemand damit ein Problem gehabt, dass ich keine Religion habe, denn das ist etwas „Normales“ geworden, finde ich, denn es gibt viele Atheisten.

Alles was ich hier gesagt habe, ist meine eigene Meinung und ich habe versucht zu schildern, wie ich das Thema Religion in Kolumbien wahrgenommen habe.
Ich hoffe, dass ich damit niemandem zu nahe getreten bin oder etwas Schlechtes gesagt habe.

Noch immer denke ich an die Menschen von heute, die mithilfe ihres Glaubens auf den richtigen Weg gekommen sind.
Ich persönlich, könnte mir aber nicht vorstellen, jemals so sehr an einen Gott zu glauben.
Für mich ist es wichtig, dass alle Menschen mit ihrem Glauben oder ihrem Nicht-Glauben glücklich sind und andere Menschen damit nicht negativ beeinflussen oder verletzen.

Weisheit des Tages: Religion ist ein schwieriges, sensibles Thema, wo die Meinungen mal schnell auseinander gehen können. Ich finde es beeindruckend, wenn Menschen mithilfe ihres Glaubens aus einer schwierigen Situation herausfinden und denke jeder sollte ein bisschen Akzeptanz bei diesem Thema zeigen.

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