– 112 Tage nach der Ankunft –
Ein kleiner Traum ist in Erfüllung gegangen. Im Regen im Amazonas tanzen, mitten in der Wildnis zwischen Bananenbäumen, Affen und Urwaldgeräuschen!
Meine Eltern und meine Geschwister haben mich Mitte Oktober für zwei Wochen besucht.
Die gemeinsame Zeit mit meiner Familie begann in Tunja. Einen Tag sind wir nach Boyacá gefahren und haben mit meiner Gastfamilie zusammen Mittag gegessen. Für mich ein sehr besonderer Moment, weil meine beiden Familien wie schon im März 2016 aufeinandertrafen. Trotz Sprachbarrieren war es ein schöner Nachmittag. Sprache scheint in manchen Situationen gar nicht so wichtig. Die Menschen werden dann kreativ und kommunizieren über andere Wege.
Der nächste Tag war für mich auch ein sehr besonderer. Einen Tag lang zeigte ich meiner Familie mein Leben in Bogotá, wo ich wohne, wo ich einkaufe, die Uni, wo ich am Liebsten tinto (Kaffee) trinke und die kleinen Dinge aus meinem kolumbianischen Alltag. In der Uni wurden wir herzlich empfangen, wohl eher zufällig, aber das minderte die Herzlichkeit jedoch nicht im Geringsten. Meine kubanische profe und ein anderer profe haben uns gleich auf einen tinto eingeladen und waren sehr interessiert an den vier großen, blonden Menschen. Ein wohliges Gefühl breitete sich in mir aus. Wieder mal wurde unter Beweis gestellt, wie herzlich und offen Kolumbianer*innen sein können. Nach den zwei Tagen ging die große Reise los!
Vom tiefsten Süden, den letzten Zipfel Kolumbiens an der Grenze zu Peru und Brasilien, über die berühmte Metropole Medellín bis nach San Andrés reisten wir. Von meiner Reise vor zwei Monaten nach San Andrés und Providencia berichtete ich vor kurzem.
In den Amazonas bin ich bisher nie gereist und war umso aufgeregter, als es von Bogotá mit dem Flieger nach Leticia ging. Schon als wir aus dem Flieger ausstiegen, legte sich die klebrig, feuchte Hitze um uns. Leticia ist die Hauptstadt des departamentos (Bundesland) Amazonas. Mit knapp 40.000 Einwohner*innen ist es die größte, kolumbianische Gemeinde im Amazonas-Gebiet.
Noch am ersten Abend konnten wir ein tolles Ereignis auf dem Hauptplatz der Stadt bestaunen! Kurz vor der artadecer (Sonnenuntergang) kehren jeden Abend Hunderte, vielleicht sogar tausende, grüne Papagein in die Bäume des Hauptplatzes zurück, um dort geschützt vor natürlichen Feinden, die Nacht zu verbringen. Es war ein wahres Naturspektakel. Über uns kreisten unzählige Vögel, die alle zusammen ein lautstarkes Orchester bildeten, sodass man sich untereinander kaum verstehen konnte.

Am nächsten Tag startete das Dschungelabenteuer mit dem schönen Nebeneffekt eines Digital Detox, den ich (als angehende Medienwissenschaftlerin) sehr genossen und reflektiert habe 😀
Die nächsten Tage verbrachten wir in der Gemeinde Mocaguas, mit dem Boot 1:40 Stunde von Leticia entfernt. In Mocaguas leben Menschen aus fünf verschiedenen Ethnien zusammen. Jede indigene Ethnie spricht ihre eigene Sprache und lebt nach eigenen Traditionen, doch trotzdem leben alle in einer Gemeinschaft zusammen, in der untereinander Spanisch gesprochen wird. Die Gemeinschaft organisiert sich über einen Rat aus sechs Personen bestehend, der gewählt wird. Die Person, die das sagen hat und vom Rat unterstützt wird, hat die Funktionen eines Bürgermeisters. Die größte indigene Gemeinschaft sind die Ticunas. Wir sind die nächsten Tage bei einer Familie der Ticunas untergekommen. Sehr spannend, denn so haben wir einiges über die Kultur und die Geschichte des Stammes gelernt.
Ich sehe diese Art von Tourismus jedoch auch kritisch. Ich frage mich, inwiefern Touristen dort wirklich die wahre Kultur und indigene Traditionen kennenlernen. Es hat für mich ein wenig etwas von Showtourismus. Tourismus ist für die Menschen mittlerweile eine große Einnahmequelle und trotzdem möchte ich keine Ausbeutung unterstützen, denn Tourismus kann auch sehr viel kaputt machen. Gerade kulturelles Gut kann dadurch zerstört werden.
Die Tage mit unserem Guide Barto und seiner Familie haben uns sehr gefallen und ich hatte das Gefühl er und seine Familie haben Freude an ihrem Job.
Trotzdem denke ich, dass ein solcher Aufenthalt reflektiert werden sollte. Durch den kommenden Tourismus in der Gemeinde Mocaguas wurde zum Beispiel auch ein Gesetz erlassen, dass die Einwohner*innen von Montag bis Freitag keinen Alkohol trinken dürfen. Gerade in ländlichen Gegenden haben viele Menschen ein Alkoholproblem in Kolumbien.
Oft merke ich, wenn ich in Südamerika reise, dass mich die Menschen ganz anders behandeln, wenn sie merken, dass ich Spanisch spreche und gerade im Land wohne. Es ist möglich eine ganz andere Verbindung zu den Menschen aufzubauen und so kommen auch manche Unterhaltungen zustande, die ohne Spanischkenntnisse nicht möglich gewesen wären.
Nach einem kleinen Rundgang durch das Dorf, in dem wir die Riesenseerosenblättern im Teich, die primaria (Grundschule) und die bunten Häuser (jedes Haus hat Bemalungen, aus denen sich schließen lässt, was deren Bewohner*innen beruflich machen oder mögen) gesehen haben, ließen wir den Abend ausklingen mit einem Bad im Amazonas, bei dem wir uns den traumhaft schönen Sonnenuntergang ansahen.
An die Piranhas, Schlangen, Stachelrochen und wer weiß was noch im Wasser herumtummelt, sollte man besser nicht denken. Stattdessen genossen wir die traumhaft schöne Aussicht.
Die indenge Familie, bei der wir unterkamen, führen eine Stiftung, in der sie misshandelte Affen aufnehmen, aufpäppeln und auswildern. Viele Menschen halten sich Affen als Haustiere, die darunter sehr leiden können. Seit 2003 haben sie schon 700 Affen in die Wildnis gelassen. Wir haben einige Momente mit den Affen July, Helena und Camilo verbracht und waren total verzaubert von ihnen.
So richtig spannend wurde die Wanderung in die selva (Wildnis), die vier Stunden dauern sollte. Wir großen Europäer taten uns ziemlich schwer in der Hitze mit langen Klamotten (als Mückenschutz) über Stock, Wurzel und Überraschungen auf dem Boden zu laufen. Barto zeigte uns viele Tiere und medizinische Pflanzen, die die Indigenen noch heute nutzen. Flüsse und Bäche überquerten wir über natürliche Brücken, mehr oder weniger stabile Baumstämme, die von einem Ufer ans andere reichten. Da wir uns so sehr konzentrieren mussten, nicht auszurutschen, zu stolpern oder hinzufallen, konnte man gar nicht seine Umgebung so sehr genießen und wahrnehmen. Wir befanden uns im Primärwald, der nie berührt wurde und dementsprechend für uns viele interessante Pflanzen, Tiere, Geräusche und Geschichten beherbergte. So kämpften wir uns durch den Dschungel, vorne voran stets Barto mit seiner Machete um uns den Weg freizuräumen.
Nach vier Stunden kamen wir dann an der Hütte an, die Bartos Familie gehört. Die Hängematten wurden aufgehängt und fertig war unsere Unterkunft für die nächste Nacht. Da fing es auch schon an wie aus Eimern zu schütten. Anstatt uns unter dem Dach zu verkriechen, fingen wir an im Regen zu tanzen, mitten im Urwald, umgeben von nichts als exotischen Tieren, Pflanzen und den Geräuschen des Amazonas. Vielleicht ein bisschen kitschig, aber für mich ein toller Moment!
Abends war eine kleine Nachtwanderung geplant. Bis zum Gesicht von Kleidung bedeckt, damit so wenig Mücken wie möglich uns angreifen konnten, liefen wir ausgestattet mit Handytaschenlampe durch den Dschungel. Mir wurde bewusst, wie wenig wir für die Gegend geschaffen sind und wie unsicher wir uns bewegten, schon am Tag unsicher, umso mehr in der Nacht.
Highlight der Nachtwanderung: einen Moment lang schalteten wir die Lichter aus und konnten am Boden Sterne erkennen. Es war als ob uns der Himmel zu Füßen liegen würde. Wohin wir sahen, waren helle Punkte zu erkennen. Barto erklärte uns, dass das von Pilzen befallene Blätter wären, was dem Bodenhimmel den Zauber nicht nahm.
Nach so einem anstrengenden Tag konnte die Nacht in der Hängemätte beginnen. Barto erzählte uns bei Kerzenlicht einige, spannende Geschichten seines Stammes der ticunas und bald waren alle eingeschlafen. Am nächsten Morgen wurden wir von den Geräuschen des Dschungels wach. Ein bisschen in der Hängematte liegen, sich von den Klängen wecken lassen und die hohen Bäume um uns herum betrachten.
Nach einer solchen schönen Wildniserfahrung, bestritten wir den Heimweg in die Dorfgemeinschaft. Da es so viel geregnet hatte, mussten wir mit einem Boot ein Ufer überqueren. Meine Mutter und ich fuhren mit Barto und dem Boot vor, um die anderen einzusammeln, die vorgelaufen waren. Als wir im Boot saßen, konnten wir die Umgebung richtig wahrnehmen. Die Laute um uns herum und die verschiedenen Bäume, die man beim Laufen gar nicht richtig angucken kann. Wir sahen sogar einige wilde Affen von Baum zu Baum schwingen.
Auf dem Rückweg ins Dorf fing es wieder stark an zu regnen. Mit meiner Tollpatschigkeit musste es dann so weit kommen, dass ich auf einem nassen Baumstamm ausrutschte und mit meinem Gesicht auf einen anderen Baumstamm am Boden aufprallte . Mit einer mehr oder weniger leichten Gehirnerschütterung, die über eine Woche anhielt und einer Dschungelnarbe auf dem Kopf, habe ich den Dschungel überlebt! Der Dschungel hat mich zutiefst erschüttert, aber ich überlebte(haha).
Am letzten Tag bastelteten wir mit der Familie gemeinsam artesenles (Kunsthandwerk, in unserem Fall Armbänder). Mit dem Boot fuhren wir nach Puerto Nariño, einer größeren Gemeinde, die dank des Bürgermeisters sehr auf die Umwelt bedacht ist. Aus Plastikflaschen werden dort Mülleimer und Kunst gebastelt. Im gesamten Dorf, dass circa 8.000 Einwohner*innen zählt, gibt es nicht ein Auto oder Motorrad.
In der Nähe von Puerto Nariño gibt es einen kleinen Nebensee des Amazonas, in dem wir graue und auch rosafarbene Delfine sehen sollten. Die konnte man mehr oder weniger gut sehen. Nur für einen kurzen Augenblick kommen die Delfine aus dem Wasser. Die grauen Delfine, die nur bis 1,50 Meter lang werden, springen leicht aus dem Wasser, um Luft zu holen. Die rosafarbenen Delfine, die bis zu 3 Meter lang werden, zeigen sich nur kurz. Mit meinem angeschlagenen Kopf fiel es mir ziemlich schwer auf das sich bewegene, wölbende Wasser zu konzentrieren, aber einige Delfine konnten wir sehen.
Auf der Bootsfahrt zurück in die Gemeinschaft, hatten wir sogar noch ein kleines Angelerlebnis. Ein Fisch sprang Janin, unserer deutschen Übersetzterin, die uns die ganze Zeit begleitete, direkt ins Gesicht und hat somit sein Schicksal selbst besiegelt.

Sehr aufgeregende Tage, die wir im Dschungel erlebten! Ich bin sehr dankbar für diese Erfahrungen und wieder mal fasziniert von Kolumbiens Viefalt.

Weisheit des Tages: im Dschungel kann man schonmal an seine eigenen Grenzen stoßen, ob durch unheimliche Tiere, ungewohnte Situationen oder körperliche Anstrengung. Wenn man die aber erst einmal überwunden hat, wird einem eine neue Welt offenbart!