Wohin ich gehe: Streik!

– 65 Tage in Chile –

Ich scheine rebellische, revolutionäre Vibes auszustrahlen. Wohin ich gehe wird gestreikt. Freunde sagten mir aus Spaß, ich sei die neue Che Guevara und ich dachte mir dieses Kompliment lehne ich nicht ab.

Tatsächlich bin ich gerade im Streik. Nicht ich, sondern eher meine Fakultät. Nach meinen ersten Streikerfahrungen in Lateinamerika während eines Auslandssemesters in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá, dachte ich, mein zweites Auslandssemester in Santiago de Chile würde ein wenig ruhiger verlaufen. Falsch gedacht. Es dauerte genau fünf Wochen (genau wie in Bogotá) eh die ersten Abstimmungen über einen möglichen Streik stattfanden. Nach einer zweiwöchigen Reise mit meiner Familie, die mich aus Deutschland besuchte, in der wir Patagonien, den Süden Chiles und Argentiniens bereisten, kam ich motivationslos nach Santiago zurück und die Studierenden beschäftigte nur eine Sache: Streik.

Während ich in Deutschland nie von einem längeren Universitätsstreik mitbekam, ist Chile das zweite südamerikanische Land, in dem ich einen live miterlebe. Warum wird hier gestreikt? Was sind die Motive? Wie lange wird der Streik gehen?

Als einer der ersten Gründe für den Streik, der nur einige Fakultäten einiger Universitäten in Santiago betrifft (wie in meinem Fall die Fakultät für Kommunikation an der Universidad de Chile, Chiles wichtigster „öffentlichen“ Universität), wird die mentale Gesundheit der Studierenden genannt. Sie kritisieren, dass die Studiengänge mit zehn Semestern für einen Bachelor zu lang sind, genauso wie die Unterrichtsstunden.
Ein weiteres Problem: mehr als 40.000 Studierende sollen in Zukunft keine finanzielle Förderung mehr erhalten. In einem Land wie Chile, in dem studieren nach wie vor eher der „oberen Sozialschicht“ vorbehalten ist, sind viele Studierende auf staatliche Hilfe angewiesen. Bisher erhielten sie Zuschüsse für Studiengebühren, Miete, Essen und Transport. Gelder sollen unter dem konservativen, neoliberalen Präsidenten Sebastian Piñera für auf finanzielle Unterstützung angewiesene Studierende gestrichen werden. Das will sich niemand gefallen lassen.

Ein zweiter zentraler Grund für den Streik ist das TPP-11. Die Transpazifische Partnerschaft ist ein geplantes Handelsabkommen zwischen Australien, Brunei, Chile, Japan, Kanada, Malaysia, Mexiko, Neuseeland, Peru, Singapur, Vietnam und ursprünglich den USA. Die USA stieg aus dem Abkommen aus, als Trump Präsident wurde. Als Freihandelsabkommen sollten Zölle abgeschaffen werden und freier Wettbewerb in den Ländern ermöglicht werden. Die Integration in Freihandelszonen ist seit den 1990er Jahren ein zentraler Bestandteil der chilenischen Strategie für Wirtschaftsentwicklung und hat die von der Diktatur eingeleitete einseitige Handelsliberalisierung ergänzt. Bis heute hat Chile mehr als 26 Freihandelsabkommen unterzeichnet und damit 64 Länder erreicht, die insgesamt 85% des weltweiten BIP ausmachen. In diesem Sinne stellt das TPP-11-Abkommen den letzten Schritt in dieser allgemeinen Strategie dar, in der der Staat die Rolle eines „Architekten von Institutionen für den Freihandel“ spielt (Quelle: ciperchile.cl). TPP-11 erntet viel Kritik nicht nur in der chilenischen Bevölkerung. Warum viele Chilen*innen nun dagegen protestieren, ist unter anderem darin begründet, dass sich das TPP auf die Rechte der indigenen Völker auswirken wird. Außerdem bedrohe das TPP-Abkommen die Demokratie, untergrabe nationale Souveränität, Arbeiterrechte, Umweltschutzmaßnahmen und die Freiheit des Internets (Quelle: observatorio.cl).

Wie äußert sich der Streik?

Einige Fakultäten waren nur einen Tag im Streik. Es gab keinen Unterricht in den Universitäten; stattdessen wurde auf die Straße gegangen, um zu protestieren. Meine Fakultät, die eine links-liberale Reputation hat, befindet sich nun schon über einen längeren Zeitraum im Streik. Letzte Woche hatte ich lediglich am Montag Unterricht. Danach gab es neue Abstimmungen, die eindeutig für einen Streik standen.

Vor allem im Vergleich zu dem nationalen Studierendenstreik in Kolumbien, bin ich erstaunt, wie wenig ich als Studentin hier mitbekomme. Nicht ein einziges Mal gab es eine Mobilisierung, von der ich mitbekommen hätte, viele Studierende liegen in der Universität sich sonnend im Gras, auch dem verschuldet, dass nicht alle Fakultäten gemeinsam streiken. Ich sehe hier weniger Zusammenhalt, Solidarität. Einige Kommiliton*innen mit denen ich sprach, bestätigten meine Vermutungen. Der Streik, der einen Tag stattfindet, den nächsten nicht, erscheint mir nicht besonders politisch und noch weniger organisiert. Zwei chilenische Freunde erzählten, viele der Studierenden, die für einen Streik votierten, wollten frei haben.

Damit möchte ich den Streik auf keinen Fall herunterspielen. Die Forderungen halte ich für sehr wichtig. Sie betreffen Lebensbereiche vieler Menschen. Vielmehr bin ich über die Art und Weise des Streiks erstaunt. Es fehlt meiner Meinung nach an Organisation, Planung, Demonstrationen und Solidarität der gesamten Universität und anderen Universitäten.
Obwohl ich in der Fakultät für Kommunikation bin und hier Journalismus studiere, habe ich nicht einmal etwas von einer öffentlich organisierten Demonstration gehört. Ich bekomme nichts von politischen Treffen mit, in denen die Situation und die Vorgehensweise diskutiert werden. Dementsprechend weiß ich weder, wie der Streik weitergehen, noch, was passieren wird. Dadurch, dass meine Fakultät eine der wenigen Fakultäten meiner Uni im Streik ist, weiß ich nicht, ob ich das Semester beenden kann.
Wenn wirklich etwas erreicht werden soll, so müssten sich die Studierenden mehr mobilisieren und mehr Aktionen starten.

Bin ich einfach falsch informiert? Oder kam ich zu „politisiert“ aus dem nationalen Studierendenstreik in Kolumbien?

Ich werde es in den nächsten Wochen herausfinden.

Streik
Foto vom Streik zum Internationalen Frauentag

Weisheit des Tages: Es gibt keine bessere Möglichkeit die politische Situation und deren Probleme kennenzulernen, als in vielen Gesprächen mit vielen unterschiedlich denkenden Menschen! Kommuniziert!

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