Kulturschock Deutschland

– 77 Tage nach der Ankunft –

Hallihallo!

Hier melde ich mich zurück nach langer Zeit, leider wieder aus Deutschland 😦
Wie fühlt sich das nun an, wenn man nach fast einem Jahr aus dem Ausland wiederkommt? Was geht einem durch den Kopf und wie ist es sich wieder an die „alte neue“ Heimat zu gewöhnen.

Nach einem Auslandsjahr kommt der Teil über den man nicht so gerne redet. Wahrscheinlich habe ich deshalb diesen Beitrag ewig vor mir hergeschoben.

Mein letzter Tag in Kolumbien, der mir schon wieder Ewigkeiten weit weg vorkommt, war wie erwartet ein sehr emotionaler, wobei wir auch noch viel gelacht haben 😀
In der letzten Nacht hat meine Gastschwester bei mir mit im Bett geschlafen und ausnahmsweise nicht das ganze Bett eingenommen wie sonst. Ich konnte sogar ein paar Stunden schlafen. Am letzten Morgen bin ich früh mit aufgestanden zum gemeinsamen Frühstück. Ein letztes Mal zusammen mit der Familie ein leckeres huevo períco con tomate. Beim Fühstück haben alle außer mein Gastvater, geweint, wodurch wir wiederrum lachen mussten 😀 Es kam sogar noch zu einer kleinen Auseinandersetzung, weil Nico so sauer auf meine Gastmama war, weil er mich nicht mit nach Bogotá begleiten durfte und in die Schule musste. Mit vielen Tränen und Schluchzen sind Silvia und Nico zur Schule und ich kann mir nicht vorstellen, dass es noch sehr lange dauert, bis ich mit ihnen wieder reden, Filme gucken, rumalbern und lachen kann 😦
Auf der Straße habe ich mich dann noch von einigen Nachbarn verabschiedet und meine Gastoma ist extra an meinem letzten Tag vorbei gekommen.
Dann ging es mit meiner Gastmama und meiner Nachbarsfamilie (sogar Klein-Fredy und Adrian waren dabei, obwohl sie Schule gehabt hätten) auf zum Flughafen. Von meinem Gastvater habe ich mich noch in Tunja verabschiedet.
Bei mir waren an diesem Tag die Dämme definitiv gebrochen und ich konnte nichts gegen die vielen Tränen tun.

Die Autofahrt nach Bogotá war nochmal sehr schön. Ich konnte noch einige Stunden mit den wichtigsten Leuten verbringen (auch wenn meine Geschwister und Gastpapa gefehlt haben). Wir haben über das vergangene Jahr geredet, einige lustige Geschichten erzählt, die uns passiert sind und festgestellt, wie unfassbar schnell so ein Jahr umgeht!

In Bogotá haben wir bei dem Bruder von Osmany Mittag gegessen, das meine Gastmama natürlich vorgekocht hatte 😀 Mein letztes kolumbianische Mittagessen mit einer Riesenportion Reis!
Danach ging es zum Flughafen und ich hatte mich schon vom großen Fredy verabschiedet, der nicht mitkam.
Das letzte Stück durch den bogotaner Stau zum Flughafen war nochmal sehr witzig 😀 Ich habe erzählt, wieviel ich zugenommen habe und meine Gastmama war regelrecht stolz darüber und hat sich gefreut: „Mein kolumbianisches Essen!“ 😀 Ich nehme es gelassen. Wir haben festgestellt, dass ich 10kg alegría (Freude) zugenommen habe und das stimmt wirklich!

In diesem Jahr habe ich mich meiner Meinung nach sehr verändert! Auch wenn ich jetzt ein bisschen mehr Jule bin als vorher (was ich vor einem Jahr niemals so gelassen genommen hätte), fühle ich mich so wohl wie nie. Ich habe gelernt, dass Aussehen nicht immer das Wichtigste ist und das man so schön ist, wie man ist. Ich weiß, das ist das übliche Geschwafel. Aber dazu nachher mehr.

Am Flughafen habe ich mich vom kleinen Fredy und Adrian verabschiedet, was ein wenig spontan war, da ich dachte sie würden noch am Flughafen bleiben.
Also blieben nur noch Bertha und Osmany mit mir.
Am Abend vorher hatte ich mehrere Male meinen Koffer gewogen und war der festen Überzeugung, dass er nicht über 23kg wog. Lange Geschichte… Auf jeden Fall ging es so aus, dass ich nicht 100 Euro für 2kg Übergewicht bezahlen wollte und so habe ich einige Sachen dort gelassen, zur Freude von Osmany und Bertha 😀
Die nette Frau bei der Gepäckaufgabe hat mir sogar noch kostenlos den Reiserucksack abgenommen. Ich habe mich so befreit gefühlt, dass ich beiden ein Eis ausgegeben habe. Leider hatte ich vergessen, dass meine Gastmama Diabetikerin ist, was sich einige Zeit später deutlich bemerkbar machte.
Während ich immer trauriger wurde (falls überhaupt möglich), wurde sie immer heiterer bis sie mir sagte: „Jule, ich habe gerade Party im Kopf!“ 😀 Ich hatte vergessen, dass sie gar keinen Zucker essen darf und so habe ich meine Gastmama am letzten Tag ein wenig high gemacht 😀 Ich musste so lachen, wie sie geredet und gelacht hat und so wurde in meinen letzten Minuten sogar mehr gelacht, als geweint. Trotzdem war die Verabschiedung dann nochmal sehr schwer und nach zahlreichen Fotos, die Osmany ja so gerne macht, und einer letzten Umarmung bin ich dann zum Gate gegangen.

Tja… Während des gesamten Fluges habe ich geweint, vor allem als ich mir das Abschiedsbuch angesehen habe, was sie mir gebastelt haben und mir klar wurde, was ich für besondere Menschen in diesem Jahr kennenlernen durfte. Ich hätte es niemals für möglich gehalten, dass ich jemanden nach so kurzer Zeit so sehr ins Herz schließen kann. Aber durch meine herzlichen und offenen, kolumbianischen Familien wurde auch ich immer mehr so.
Ich bin ihnen so dankbar für alles, was sie getan haben, aber vor allem, dass sie mich so offen aufgenommen haben und mich jetzt wie eine eigene Tochter, Schwester, Cousine, Tante oder was auch immer sehen.

Am berliner Flughafen wurde ich dann von meiner Familie und drei meiner besten Freundinnen erwartet, wovon ich nichts wusste. Deshalb habe ich mich umso mehr gefreut. Merkwürdigerweise war das Wiedersehen im März, als meine Familie mich besucht hatte, viel emotionaler, was nicht heißen soll, dass ich mich nicht gefreut habe alle wiederzusehen.
Wir haben den Tag dann im Garten ausklingen lassen und Familie und eine weitere Freundin sind noch gekommen.

So jetzt zum eigentlichen Thema, über das ich heute hier reden wollte. Wie war das wieder Einleben und wie habe ich meine alte Heimat nach einem Jahr im Ausland gesehen?
Ich hätte es niemals gedacht, aber die Rückkehr fiel mir sehr, sehr schwer. In den ersten Wochen habe ich Kolumbien und meine Familien so sehr vermisst, dass ich am liebsten rund um die Uhr mit ihnen in Kontakt gewesen wäre. Meine Gedanken kreisten nur um Kolumbien und ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, jemals wieder in Deutschland glücklich zu werden. Ich weiß, dass sich das ziemlich übertrieben anhört, aber so war es.
Vielleicht fiel es mir auch so schwer, weil ich nie wirklich Zeit hatte richtig anzukommen. Bis heute habe ich noch gar nicht alle von meiner Familie und meinen Freunden wiedergesehen und es steht immer noch eine Tüte mit Sachen da, die ich noch nicht ausgepackt habe.
Ich war sehr beschäftigt in der ersten Zeit; da war der Urlaub mit meinen Eltern und meinem Bruder, nicht einmal eine Woche nach meiner Ankunft, ein Tag nach dem Urlaub das Nachbereitungsseminar in Wiesbaden, danach war ich ein paar Tage in Köln bei Despina, im September war ich sehr viel arbeiten und nächste Woche fängt schon die Uni an.

So schnell geht alles 😦 Jetzt ist es bald ein Jahr her, dass ich mein großes Abenteuer gestartet habe ohne Vorstellungen, was mich erwarten würde. Wenn ich könnte, würde ich morgen wieder nach Kolumbien fliegen.

Ich muss gestehen, dass ich diesen Beitrag ewig vor mir hergeschoben habe und es mir sehr schwer fällt ihn zu schreiben. Wahrscheinlich weil Kolumbien dann ein wenig mehr „abgeschlossen“ ist. Ich merke, wie ich es nicht schaffe eine Struktur in diesen Text zu bekommen 😀 und es mir bis heute schwer fällt zu akzeptieren, dass ich nicht zurückgehen kann in nächster Zeit 😦

Also… Es gibt ein paar Dinge, die ich nun anders sehe, seit ich zurück bin. Hätte ich diesen Beitrag (wie es geplant war) direkt nach meiner Ankunft geschrieben, würden die Aussagen wahrscheinlich ein bisschen einseitig sein, aber jetzt ist schon einige Zeit vergangen und ich versuche mein neues Leben zu leben.

  1. Das erste Mal, als ich in einem deutschen Supermarkt war, nach meinem Kolumbienaufenthalt, habe ich geweint 😀 Ich weiß gar nicht, wie ich es beschreiben soll, aber ich war schockiert von all den überfließigen Produkten, die es gibt. Ich will damit sagen, dass es doch nicht z.B. 10 verschiedene Joghurtsorten geben muss oder Früchte, die zwar vielseitig sind, aber mehr als 8000 Kilometer hinter sich gebracht haben. Mir erschien das so „unnatürlich“.
    Ich finde, dass diese Konsumgesellschaft in Deutschland viel zu viel Einfluss auf uns nimmt. Ich habe es vorher nie so gesehen, aber in Kolumbien macht man sich einfach nicht so viele Gedanken um so unwichtige Dinge wie: „In wievielen Farben sollte ich mir das Oberteil noch holen?“, „Welche Schuhe kaufe ich mir als Nächstes?“, „Welche der zehn verschiedenen veganen Milchsorten trinke ich heute?“
  2. Anfangs fiel es mir sehr schwer mit der Ordnung und „Bürokratie“ umzugehen. Ich finde es gut, dass viele Dinge in Deutschland so strukturiert sind, aber auch hier habe ich mich wieder gefragt, ob das so notwendig ist. Ich denke, dass man in Kolumbien nicht so viele Dokumente braucht, um Arbeiten gehen zu können. Eh ich nämlich anfangen konnte, musste ich mich um so viele Dinge kümmern und ich finde dieses System sehr kompliziert. Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass ich noch so jung bin und es mir nie jemand erklärt hat. In der Schule lernt man nun mal nicht, wie man eine Steuererklärung schreibt, einen Mietvertrag unterschreibt und und und. (In Kolumbien genauso wenig :D)
  3. Auch wie ernst die Deutschen es mit der Pünktlichkeit nehmen! In Tunja findet man nirgendwo einen Busfahrplan. Ich weiß nicht, wie oft ich hier zum Bus rennen musste, weil sie auf die Minute genau oder noch früher kommen. Mir ist klar, dass Busfahrpläne sehr praktisch sind und man somit seinen Tag besser planen kann, aber mir erschien das so „übergenau“.
    Zum Thema Pünktlichkeit habe ich ein gutes Beispiel, dass mir widerfahren ist. Ich war mit einer Freundin um 15:30 in einem Cafe verabredet. 15:28 schrieb sie mir, dass sie da ist, während ich zuhause war und mich noch nicht einmal umgezogen hatte. Ich bin dann zwar zehn Minuten später eingetroffen, aber das Einhalten einer genauen Zeit fiel mir echt schwer. Da sind die Kolumbianer definitiv lockerer!
  4. Viele Kolumbianer sagen, dass alle Deutschen blond sind und ich habe immer erklärt, dass das nicht stimmt. Als ich aber zurückkam, erschien es mir, dass um mich rum nur große, bleiche, blonde Menschen waren. Außerdem ist mir aufgefallen, dass es viele übergewichtige Menschen gibt. Ich sollte mich wohl nicht dazu äußern, wo ich doch so zugenommen habe 😀 aber ich tue es trotzdem. In Kolumbien sind die meisten Menschen trotz des kalorienhaltigem Essen schlank, was mich immer gewundert hat, um ehrlich zu sein. Das ist hier nicht so.
  5. Nun zum letzten und mir wichtigstem Punkt. Der Umgang der Menschen miteinander hat mich sehr schockiert und traurig gemacht, todavía! Die „deutsche“ Unfreundlichkeit war nach den überfreundlichen Kolumbianern, die ich getroffen hatte, sehr ernüchternd. Das fängt an bei Kleinigkeiten! Wenn jemandem neben dir etwas runterfällt, auch wenn du die Person nicht kennst, kann man doch helfen. Busfahrer, die einem nicht zurückgrüßen können. In alltäglichen Situationen Menschen anzulächeln oder freundlich zu antworten z.B. beim Einkaufen. Ich bin auf so viele unfreundliche Menschen gestoßen, was mich jedes Mal denken ließ: „In Kolumbien ist alles besser“.
    In Deutschland scheint es außerdem normal zu sein, dass man Leute, die man kennt und lange nicht gesehen hat, auf der Straße oder im Supermarkt einfach ignoriert. Selbst da kann man nicht mal ein paar liebe Worte austauschen. Das trifft natürlich nicht auf alle zu.
    Weiterhin finde ich, dass viele Deutsche so viel schüchterner sind beziehungsweise „nicht-offen“. Es ist viel schwerer in ein Gespräch zu kommen. Viele sprechen Komplimente, die sie denken nicht aus, als ob es etwas Schlimmes wäre jemandem den Tag zu verschönern.

Diese Dinge, die ich aufgezählt habe, haben mich sehr traurig gemacht und es fiel mir schwer nicht zu denken, dass Kolumbien in irgendeiner Weise besser ist (zumindest auf der zwischenmenschlichen Ebene).
Ich habe mir geschworen, dass ich meine kolumbianische Fröhlichkeit nicht verlieren werde und vielleicht sogar andere Menschen damit anstecken kann. Ich habe mich sehr verändert, denn ich bin offener, fröhlicher, zufriedener und gelassener geworden.
Die Idee nach Kolumbien zu gehen, war die beste, die ich bisher hatte und ich will so schnell wie möglich zurück!

Ich bedanke mich bei allen, die mich unterstützt haben vor, während oder nach der Zeit und bedanke mich auch bei den vielen Menschen, die meinen Blog so aktiv mitverfolgt haben. Ich hoffe, dass ich euer Bild über Kolumbien ein wenig verändern konnte!

Dieser Beitrag war definitiv der schwerste für mich und ich bin nicht mal zufrieden mit ihm 😀 Es ist schwer auszudrücken, wie es ist, wenn man alles Erlebte auf einmal anders wahrnimmt.

Nun fängt erst einmal ein neuer Lebensabschnitt für mich an und dieser heißt: Studium.
Eins steht aber fest! Ich werde ganz oft nach Kolumbien zurückreisen und berichte darüber auch gerne auf meinem Blog. Mit meinen lieben Menschen dort drüben werde ich im Kontakt bleiben!

Weisheit des Tages: egal wie weit ich von Kolumbien entfernt bin, ein Teil wird immer bei mir sein 🙂

2 Kommentare

  1. Liebe Jule, Dein Resümee hat mich sehr bewegt und beeindruckt. Ich kann dich sehr gut verstehen. Solche krassen Gegensätze findet man sogar innerhalb Deutschlands. Erschwerend kommt hinzu, dass Berlin ein ganz spezieller Fall ist. Hier sind die Leute ja nicht gerade für ihre entgegenkommende Herzlichkeit bekannt. Mit ging es schon nach der Rückkehr von einem einwöchigen Dubai-Urlaub so, dass ich Berlin ganz schrecklich fand. Aber du kannst die kolumbianische Lebensart hier Fuß fassen lassen, durch dich! Du kannst nicht alle Menschen umkrempeln, aber du kannst durch deine Ausstrahlung viel verändern! Jedenfalls in deinem Umfeld. Du wirst merken, dass man durch freundliche Offenherzigkeit und Entgegenkommen so manche harte Nuss knacken kann. Viele blocken ja grundsätzlich ab, voller Misstrauen. Aber wenn man mit ihnen verständnis- und respektvoll umgeht, lassen sie auch mal was Menschliches gucken. Die Deutschen sind eben nicht so temperamentvoll, eher sehr introvertiert. Das ist eine Mentalität, mit der man leben muss – oder man muss auswandern. Das wiederum würde ich sehr schade finden, denn du kannst ganz bestimmt hier noch sehr viel bewegen und zum Positiven verändern. Also verzweifle nicht!
    Bezüglich des Überangebotes in den Supermärkten muss ich dir absolut zustimmen. Besonders beim Obst und Gemüse fällt mir das auf. Alles sieht so durchgestylt aus, dass einem der Appetit vergeht. ich esse lieber schrumplige, fleckige Äpfel vom Baum! Und diese Plastikschalen überall. Möhren, Tomaten, Pfirsiche…alles in Plastik verpackt…
    Ich wünsche Dir, dass du zu einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Kolumbien und Deutschland findest.
    Lass mal wieder was von dir hören!

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    1. Danke, für deine lieben Worte 🙂
      Es hat auf jeden Fall auch eine Menge Positives, wenn man sein Heimatland mit anderen Augen sieht. Ich hoffe auch, dass ich mich schnell wieder reinfinde, gerade jetzt wo die Uni begonnen hat und ein neuer Alltag beginnen wird.
      Hoffentlich kann ich Leute „überzeugen“ einmal mehr am Tag zu lachen 🙂 Kolumbien macht es möglich!
      Ganz liebe Grüße!

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